Scheinselbständigkeit und deren Folgen können existenzbedrohend
für den Auftraggeber und den Auftragnehmer sein.
Scheinselbständigkeit
I. Definition
Scheinselbständigkeit ist der Begriff für ein Arbeitsverhältnis, bei dem ein vertraglich als selbständig betitelter Auftragnehmer nach objektiven Kriterien ein Arbeitnehmer ist und als solcher versicherungspflichtig angemeldet werden müsste.
Sowohl Auftraggeber als auch Auftragnehmer kann das die Existenzgrundlage kosten, wenn eine der entsprechenden Stellen die Scheinselbständigkeit aufdeckt. Der Status des Freiberuflers wird aberkannt und der Arbeitgeber muss Sozialversicherungsbeiträge rückwirkend zahlen, was in den fünfstelligen Bereich gehen kann.
Von Scheinselbständigkeit können alle Selbständigen, die Auftragsarbeiten machen, betroffen sein. Insbesondere betroffen sind davon Freiberufler oder freie Mitarbeiter.
II. Prüfung der Scheinselbständigkeit
Eine Prüfung der Scheinselbständigkeit kann vom Deutschen Rentenversicherung Bund, einem Arbeitsgericht, dem Finanzamt oder Sozialversicherungen durchgeführt werden.
Auch ein Auftragnehmer oder ein Auftraggeber können eine Prüfung der Scheinselbständigkeit einfordern, beispielsweise wenn ein Auftragnehmer Kündigungsschutz einklagen oder ein Auftraggeber ein Vertragsverhältnis beenden möchte.
In vielen Fällen sind aber beide Parteien unbeteiligt bei der Veranlassung einer Prüfung auf Scheinselbständigkeit und eine dritte Instanz, bspw. die Krankenkasse. Diese fordert eine Prüfung der Scheinselbständigkeit ein, weil sie bspw. Beiträge nachfordern möchte.
Die Prüfer müssen hierbei Beweise für die Scheinselbständigkeit finden und diese nachweisen. Dabei machen folgende Kriterien die Scheinselbständigkeit aus:
- ein Selbstständiger beschäftigt selbst regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Mitarbeiter beschäftigt,
- ist dauerhaft für einen einzigen Auftraggeber tätig und
- dessen Aufträge liefern ihm 5/6 seines Umsatzes.
Weiter ist die Weisungsbefugnis ein entscheidendes Kriterium für Scheinselbst. Diese kann vorliegen, wenn der Selbstständige in einem Arbeitsumfeld arbeitet, in dem der Auftraggeber Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten hat, die die unternehmerische Entscheidungsfreiheit des Selbstständigen einschränken.
III. Folgen der Scheinselbständigkeit
Wenn eine Scheinselbständigkeit vorliegt und nachgewiesen werden kann, müssen sowohl Auftraggeber als auch Auftragnehmer mit rechtlichen und finanziellen Konsequenzen rechnen.
1. Folgen für Auftraggeber
Im Falle des Auftraggebers gelten bei Scheinselbständigkeit rückwirkend alle Haftungs- und Zahlungsverpflichtungen wie für normale Angestellte.
- Beiträge zur Sozialversicherung hat der Auftraggeber für bis zu vier Jahre rückwirkend nachzuentrichten. Dazu zählen auch Säumniszuschläge, wenn nicht innerhalb von einem Monat nach Arbeitsbeginn ein Antrag auf Statusfeststellung seitens einer der beiden Parteien ein positives Ergebnis hervorbringt. Ansonsten tritt die Sozialversicherungspflicht erst dann ein, wenn eine unanfechtbare Entscheidung vorliegt.
- Lohnsteuernachzahlungen kann das Finanzamt im Falle von Scheinselbständigkeit ebenfalls rückwirkend einfordern. Hier gilt ebenfalls die Regelung von bis zu vier Jahren rückwirkend. Wird eine vorsätzliche Scheinselbständigkeit nachgewiesen, sind Bußgelder, Gefängnisstrafen und Rückzahlungsforderungen für bis zu 30 Jahre möglich.
- Die Ausweisung der Umsatzsteuer auf den Rechnungen des Scheinselbstständigen wird unwirksam, d. h. der erfolgte Vorsteuerabzug gilt als unzulässig und die abgezogenen Vorsteuerbeträge müssen berichtigt und zurückgezahlt werden.
- Ab der Feststellung der Scheinselbständigkeit gelten für den bisherigen Auftragnehmer alle Rechte, die die Mitarbeiter des Unternehmens besitzen.
2. Folgen für den Auftragnehmer
Auch der Auftragnehmer hat mit Konsequenzen der Scheinselbständigkeit zu rechnen.
- Seine Selbstständigkeit ist beendet und er erhält nachträglich zum Beginn des Beschäftigungsverhältnisses den Status des Arbeitnehmers. Hierdurch erhält er zahlreiche Rechte, beispielsweise Kündigungsschutz, Urlaubsanspruch oder Lohnfortzahlungsverpflichtung im Krankheitsfall. Außerdem erhält er im Falle von Scheinselbständigkeit Nettogehaltszahlungen in der Höhe des bisherigen Honorars.
- Der freie Mitarbeiter hat das Gewerbe beim Gewerbeamt abzumelden. Die Mitgliedschaft in der Industrie- und Handelskammer endet.
- Auftraggeber und Auftragnehmer werden rechtlich als Gesamtschuldner bei Scheinselbständigkeit angesehen. Der bis dato Auftraggeber kann daher die Arbeitnehmeranteile an den Nachzahlungen der Sozialversicherungsbeiträge für die vergangenen drei Monate von seinem künftigen Gehalt abziehen. Je nach Honorar bzw. dann Nettogehalt ergibt sich die Beitragshöhe.
- Bisher ausgestellte Rechnungen müssen vom Auftragnehmer bei Feststellung einer Scheinselbständigkeit berichtigt werden. So muss die ausgewiesene Umsatzsteuer als ungültig erklärt werden. Der Vorsteuerabzug darf nicht durchgeführt worden sein oder die Vorsteuer muss an das Finanzamt zurückgezahlt werden.
IV. Vermeidung von Scheinselbständigkeit
Um sich vor den Konsequenzen zu schützen, sind folgende Punkte unbedingt zu beachten:
1. Vertragsprüfung
Die genannten Kriterien sollten mit dem Arbeitsalltag und dem Dienstvertrag abglichen werden. Insbesondere ist zu prüfen, ob der freie Mitarbeiter seine unternehmerische Entscheidungsfreiheit sowie sein unternehmerisches Risiko (noch) selbst trägt.
Im Vertrag sollte ein Hinweis darauf enthalten sein, dass keinerlei Weisungspflicht für den Freelancer besteht.
Außerdem sollte im Vertrag festgehalten werden, dass der Auftragnehmer regelmäßig Nachweise über weitere Aufträge und eine selbstständige Versicherung vorzulegen hat.
Folgende Aspekte Ihres Dienstvertrages können Sie vor Scheinselbständigkeit schützen:
- der Auftragnehmer ist für die Abführung gesetzlicher Abgaben (Steuern, Sozialversicherung) verantwortlich
- das genaue Honorar für genaue Tätigkeiten nennen
- der Auftragnehmer darf Aufträge ablehnen und die anderer Kunden annehmen
- der Auftragnehmer darf Hilfskräfte (eigene Mitarbeiter) einsetzen
- der Auftragnehmer bringt nicht mehr als die Hälfte seiner Arbeitskapazität auf
- Höhe der Nutzungsgebühr für Arbeitsmittel festlegen
2. Hard- und Software bzw. Räumlichkeiten trennen
Die sogenannte Entscheidungsfreiheit wird auch dadurch vergrößert, dass verschiedene Software-Programme für die Auftragsvergabe, die Zeit- und Aufwandserfassung oder die Rechnungstellung genutzt werden.
Auch ein (zusätzlicher) eigener Arbeitsplatz des freien Mitarbeiters kann dessen unternehmerische Freiheiten unterstreichen und vor Scheinselbständigkeit schützen.
3. Meldung bei der Deutschen Rentenversicherung Bund
Es empfiehlt sich, innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn einer Tätigkeit einen Antrag auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für die ersten 3 Jahre der Selbstständigkeit bei der Deutschen Rentenversicherung Bund zu beantragen.
Beide Seiten können dort nämlich im Streitfall eine Klärung der Statusabfrage beantragen.
Meine Kanzlei berät und vertritt Sie gerne
hinsichtlich der aufgeworfenen Fragestellungen.
al190717ks-220420rd